Diese Fragen kamen bei der Diskussion zu dem Artikel "Hungerbekämpfung durch Kleinbauern" auf.
Es folgen die wichtigsten [?] Kommentare diesbezüglich, welche auf :Wissenschaft und Schrei veröffentlicht wurden. Sollte etwas fehlen, so bitte ich um Ergänzung oder Benachrichtigung:
Aufgeworfen hat die Fragen "Catio":
"Und dann konnte ich bisher noch keine Antwort auf die Frage finden, wieso dem Menschen erst durch Fleischkonsum die nötige Energie zur evolutionären (Weiter-)Entwicklung geliefert wurde und was das für den Fleischkonsum heute bedeutet."
"Als Erstes habe ich tatsächlich etwas zu der Evolution des Gehirns gefunden. Au der Webseite Evolution-Mensch heisst es: “Die Bereicherung des Speisezettels mit Fleisch war eine regelrechte Hirnnahrung und Auslöser für den ersten Schub des rapiden Wachstums unseres Denkapparates, stimmen Leslie Aiello und ihr Kollege Peter Wheeler von der University of Liverpool zu.” (aus http://www.evolution-mensch.de/thema/gehirn/gehirn.php ). Der Artikel ist zwar nicht der, den ich damals gelesen hatte, deckt sich aber im Grundsatz mit den damaligen Angaben (hier hat man sogar noch zwei genannte Wissenschaftler dazu). Wiedergefunden habe ich aber einen 34minütigen hochinteressanten arte-Beitrag unter dem Titel “Die Wiege der Menschheit”, in dem sogar behauptet wird, dass ohne Fleisch die Entwicklung des menschlichen Gehirns nicht möglich gewesen wäre. http://www.youtube.com/watch?v=lGizQYVfMUM "
"Im Prinzip stellt sich mir immer noch die Frage, inwieweit eine energiereiche Fleischernährung heute noch wichtig sein könnte, bspw. um die Ressourcen des Gehirns zu nutzen (da sagen die Ernährungswissenschaftler ja inzwischen, dass das alles durch pflanzliche Produkte ersetzt werden könnte – und ich würde mal salopp sagen: bei mir nicht – was ich auch bei Gelegenheit einmal erklären werde) Zum Anderen könnte Fleischnahrung möglicherweise auch im Hinblick auf eine evolutionäre Weiterentwicklung unseres Gehirns wichtig sein. Irgendwie denke ich immer, dass die Menschen davon ausgehen, wir seien mit unserem kläglichen Verstand am Ende der evolutionären Möglichkeiten – was ich irgendwie nicht glauben kann. Vielleicht sollte ich mal darüber recherchieren, inwieweit Denkarbeit mit energiereicher Nahrung zu tun haben könnte. Vielleicht findet sich in all diesen Dingen der Grund, warum wir mit Pflanzenkalorien verschwenderisch umgehen, um ein paar tierische Kalorien zu gewinnen."
Meine (wissenschaftus) Antworten auf Catio:
[Catio] " ‘Die Bereicherung des Speisezettels mit Fleisch war eine regelrechte Hirnnahrung und Auslöser für den ersten Schub des rapiden Wachstums unseres Denkapparates, stimmen Leslie Aiello und ihr Kollege Peter Wheeler von der University of Liverpool zu.’ [ich] Dazu fällt mir wieder diese Studie ein, die darauf hinweist, dass die Hirngröße bei der Entwicklung der Denkfähigkeit weniger bedeutsam ist, als gedacht.
[Catio] ” [Beitrag] in dem sogar behauptet wird, dass ohne Fleisch die Entwicklung des menschlichen Gehirns nicht möglich gewesen wäre.” [ich] Das mag sein. Dabei muss man aber das damalige karge Nahrungsangebot bedenken. Hätten die Menschen zu der Zeit schon Supermärkte gehabt, wäre die Entwicklung des Gehirns vielleicht auch ohne Fleisch möglich gewesen.
[Catio] “Zum Anderen könnte Fleischnahrung möglicherweise auch im Hinblick auf eine evolutionäre Weiterentwicklung unseres Gehirns wichtig sein.” [ich] Interessanter Gedanke. Vielleicht ist es aber auch umgekehrt: Damit sich die Menschen evolutionär weiterentwickeln können, brauchen sie diesmal pflanzliche Nahrung.Wenn ich mich im Tierreich umsehe, sind schon einige der “schlausten” und zugleich stärksten (gemessen nach menschlichem Kräftemaßstab; denn für ihre Größe sind Ameisen ja auch sehr sehr stark – da allerdings gibt es sowohl pflanzen- wie auch fleischessende Arten) Tiere Pflanzenfresser (z.B. Gorillas oder Elefanten).
[Catio] “Irgendwie denke ich immer, dass die Menschen davon ausgehen, wir seien mit unserem kläglichen Verstand am Ende der evolutionären Möglichkeiten – was ich irgendwie nicht glauben kann.” [ich] Ich denke auch, dass die Evolution immer weiter geht.
[Catio] “Vielleicht sollte ich mal darüber recherchieren, inwieweit Denkarbeit mit energiereicher Nahrung zu tun haben könnte.” [ich] Ich glaube, dass ist eine Sackgasse. Denn, wenn dem so wäre, würden Ernährungswissenschaftler wohl kaum sagen, dass es auch ohne Fleisch optimal geht. Es gibt doch auch energiereiche pflanzliche Kost."
Catio:
[ich] “Das mag sein. Dabei muss man aber das damalige karge Nahrungsangebot bedenken. Hätten die Menschen zu der Zeit schon Supermärkte gehabt, wäre die Entwicklung des Gehirns vielleicht auch ohne Fleisch möglich gewesen.” [Catio] In der Dokumentation wird geschildert, dass das Nahrungsangebot keineswegs karg war. Es gab in der Danakilwüste damals Antilopen, Nilpferde, Krokodile und eine bestimmte Art von Bullen, deren Namen in der Dokumentation erwähnt wird und ich nicht behalten habe. Das Land war blühend und das pflanzliche Nahrungsangebot vielfältig und überreich. Aus diesem Grund gab es dort ja die vielen Pflanzenfresser. In dem Film wird auch erklärt, warum unser Heißhunger auf Fastfood paläolithisch ist, warum unser Verdauungssystem weniger Energie verbraucht als das der Pflanzenfresser, usw., usf.
[ich] “Ich glaube, dass ist eine Sackgasse. Denn, wenn dem so wäre, würden Ernährungswissenschaftler wohl kaum sagen, dass es auch ohne Fleisch optimal geht.” [Catio] Es geht strengenommen auch nur mit Wasser und Brot – zum Überleben bzw. zur Erhaltung einer funktionierenden Biologie würde das auch reichen – trotz der sich daraus ergebenden Mangelerscheinungen. Ich denke aber, dass zu einer optimal zu nutzenden Biologie (was wir ja wenig machen, weil wir ja zumeist auf Stühlen rumsitzen) bzw. eines optimal zu nutzenden Gehirns (was wir auch nicht machen. Wir werden uns aber wahrscheinlich immer mehr zu solchen Gehirnwesen entwickeln, wie ich vermute) auch eine recht energiereiche Ernährung gehört. Ob die alleine durch Pflanzen gebracht werden können, ist zwar durch das überreiche weltweite Angebot in Wohlstandsstaaten möglich, aber letztendlich geklärt sehe ich das dennoch nicht. Außerdem stehe ich den Ernährungswissenschaften stets ein wenig kritisch gegenüber. Man kann mit gezielter Ernährung äußerlich einiges erreichen, aber die Frage ist ja hier nicht, wie gesund ich leben will, sondern was brauche ich zum Leben, um bspw. alle Kräfte (auch geistige) ausschöpfen zu können.
Sam steigt in die Diskussion ein und antwortet Catio:
Die Annahme, dass der Mensch für die Entwicklung seines Gehirns unbedingt Fleisch gebraucht habe, ist lediglich eine These und meiner Meinung nach falsch.Wenn Fleisch für die Gehirnentwicklung nötig wäre, dann hätten alle Pflanzenfresser kleine Gehirne und reine Carnivoren Riesengehirne. Da kann also etwas nicht stimmen. Aber selbst wenn diese These stimmen würde, so bedeutet das nicht, dass wir heute unbedingt Fleisch essen MÜSSEN.
Meine (wissenschaftus) Ergänzung zu Sams Kommentar:
[Sam] “Wenn Fleisch für die Gehirnentwicklung nötig wäre, dann hätten alle Pflanzenfresser kleine Gehirne und reine Carnivoren Riesengehirne. Da kann also etwas nicht stimmen.” [ich] Diese Studie deutet darauf hin, dass die Gehirngröße bei der Entwicklung der Fähigkeit zu Denken weniger bedeutend ist, als angenommen. Ihre These könnte aber trotzdem stimmen.
Chris Mail schaltet sich in die Diskussion ein:
Denkarbeit erfordert Energie – wie jeder andere Lebensprozess. Eiweiß ist ein wichtiger Energielieferant der menschlichen Nahrung. Die reichhaltigsten Quellen sind Fleisch, Fisch, Eier Milch, Nüsse, Hülsenfrüchte, Getreide – nach der gängigen Aufzählung. Diese Reihenfolge suggeriert eine absteigende Wertigkeit, die jedoch nicht gegeben ist. Es ist also nicht die Frage, ob ich Fleisch oder Linsen esse, sondern ob ich Eiweiß aufnehme. Es gibt keine Beweise, dass es eine Wirkung von größeren Mengen über den (täglichen durchschnittlichen) Bedarf zu stetig steigender Leistung – nach der Formel: noch mehr Eiweiß = noch mehr Denken gäbe.
Ich (wissenschaftus) ergänze den Kommentar von Chris Mail:
Im Übrigen ist ein Zuviel an Eiweiß “problematisch” für die Nieren, laut Prof. Froböse vom Zentrum für Gesundheit der Deutschen Sporthochschule Köln (siehe hier). Die Menge des aufgenommen Eiweiß in Deutschland liegt schon heute im Mittel 130 bis 160 % über der empfohlenen Menge (SRU 2012).
Catio meldet sich wieder zu Wort und antwortet Chris Mail:
[Chris Mail] “Eiweiß ist ein wichtiger Energielieferant der menschlichen Nahrung. Die reichhaltigsten Quellen sind Fleisch, Fisch, Eier Milch, Nüsse, Hülsenfrüchte, Getreide…” [Catio] Diese Aussage enthält einen intressanten Hinweis, warum der erste Homo sapiens in der (heutigen) Danakil-Wüste in Eritrea auf Fleisch zurückgegriffen hat. Eier, Milch, Hülsenfrüchte und Getreide sind vorwiegend Erzeugnisse aus landwirtschaftlicher Nutzung bzw. Tierhaltung. Die gab es natürlich damals noch nicht. Wildwachsende Pflanzenarten hatten wohl demzufolge eher im Gesamten zu wenig Eiweiß geliefert, um die Versorgung eines evolutionär wandelnden und wachsenden Gehirns zu gewährleisten. Und da es wohl Tierarten in Hülle und Fülle in der damaligen Zeit gegeben haben muss, hat sich der Mensch wohl zu dem Allesverwerter entwickelt, der er bis heute geblieben ist. Über Fischreichtum weiss man nicht nicht viel – es wurde in der Arte-Dokumentation auch nicht von fossilen Fischnahrungsresten berichtet, obwohl es wahrscheinlich ist, dass Fisch ebenso damals auf dem Speiseplan des Homo sapiens stand.
[Chris Mail] “Es gibt keine Beweise, dass es eine Wirkung von größeren Mengen über den (täglichen durchschnittlichen) Bedarf zu stetig steigender Leistung – nach der Formel: noch mehr Eiweiß = noch mehr Denken gäbe.” [Catio] Nein, so war das auch nicht gemeint – auch das stetig wachsende Gehirn ist nicht sinnvoll. Es dürfte eher umgekehrt sein: das Gehirn hat sich aus rein evolutionären Gründen entwickelt (oder entwickelt sich noch), und daraus ergab oder ergibt sich der hohe angeforderte Energiebedarf über Eiweiß und Zucker. Und klar ist natürlich auch, dass wir uns als “Büromenschen” aufgrund des Wohlstandes überernähren – für schlechte Zeiten ;-)
Ich neige inzwischen auch dazu, den Zugriff auf Fleisch bei unseren Vorfahren eher in dem Mangel an pflanzlichem Eiweiß bzw. in dem massiven Vorkommen in tierischen Fetten zu sehen, wobei ich mich erst noch über den Unterschied zwischen pflanzlichem und tierischem Eiweiß bzw. den Eiweißträger informieren werde (alles am Wochenende…). Irgendetwas ist für mich da noch nicht ganz stimmig. Aber es bleibt interessant!
Ich (wissenschaftus):
Eine brandaktuelle Studie will herausgefunden haben, dass frühe menschliche Vorfahren von uns auch Pflanzen gegessen haben. Das sei neu, wie die Forscher schreiben. Hier ein Link zur Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, das an der Arbeit beteiligt war. Die Originalstudie wurde heute in Nature veröffentlicht.
Catio:
Diese Pressemitteilung verwirrt mich jetzt etwas, und zwar deshalb, weil ja alle Vorfahren des Menschen schon immer Pflanzenfresser waren und der Mensch das bis heute geblieben ist, wenn auch nicht nur. Schimpansen bspw. benutzen heute noch die in dem Artikel erwähnte Baumrinde als eiserne Reserve für schlechte Zeiten. Beim Homo erectus war es dann wohl so (auch wenn es nicht gesichert ist), dass dieser schon Fleischanteile in der Ernährung hatte, und beim erwähnten Homo sapiens dürfte das klar sein. Deshalb müsste der Australopithecus sediba, der ja auch in diesen Zeitrahmen passt (aber wohl in Südafrika beheimatet war), durchaus in jedem Fall Pflanzenfresser gewesen sein. Soweit ich weiss gibt es überhaupt keine Homo-Kategorie, die sich ausschliesslich von Fleisch ernährt hätten. Es scheint in dem Bericht eher darum zu gehen, dass der Australopithecus sediba sich anscheinend nicht ernährungstechnisch geändert hat wie seine Artgenossen aus Nordafrika. Sein Gehirn wies lediglich ein Volumen von 420 Kubikzentimetern auf. (homo erectus: 650 bis 1250 cm3, Homo sapiens: 1100 bis 1800 cm3). Aber da muss ich mich am Wochenende mal einlesen – wieder was neues interessantes…:-)
Catio reagiert auf von mir (wissenschaftus) gehegte Zweifel, ob der Bedeutung der Studie für die Beantwortung unserer Fragen:
Nun ja, wenn man sich über den Fleischkonsum unserer Vorfahren Gedanken macht, dann passt das schon insofern hinein, dass der sich nur mit Pflanzen ernährende Australopithecus nicht weiterentwickelt hat (und letztendlich ausgestorben ist, aus welchen Gründen auch immer). Vielleicht hat er sich den Bedingungen der Umwelt nicht mehr anpassen können, weil er bspw. evolutionär nicht zum Jäger wurde und die Ernährungslage knapp wurde – aber das ist natürlich nur Spekulation.
Ich (wissenschaftus):
[Catio] “Vielleicht hat er sich den Bedingungen der Umwelt nicht mehr anpassen können, weil er bspw. evolutionär nicht zum Jäger wurde und die Ernährungslage knapp wurde – aber das ist natürlich nur Spekulation.” [ich] Das könnte ich mir gut vorstellen.
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